Warum die Urheberrechtsreform wenig Freunde in der Musikbranche findet
Frühling 2021 – die Musikindustrie liegt gebeutelt von Corona am Boden. Die ganze Musikindustrie? Nein. Auf dem Zahnfleisch gehen nach dem letzten Jahr vor allem Künstler, Manager, Konzertveranstalter und Promoter. Alle, die auf regelmäßige Einnahmen aus dem Live Geschäft angewiesen sind.
Plattenfirmen und Musikverlage hatten zwar auch kein fettes Jahr aber doch eines voll guter Gelegenheiten. Denn „Wenn Blut auf den Straßen fließt, kaufen Sie soviel Sie können!“, soll einst der Ur-Kapitalist Baron Rothschild gesagt haben. Heißt: In Krisenzeiten soll man in die Zukunft investieren. Denn dann sind Werte günstig zu haben.
Und so verhält es sich zurzeit in der Musikindustrie: Viele Künstler verkaufen ihre Songrechte und einige kleine und mittelgroße Labels ihre Rechte an Aufnahmen, da sie schlicht Geld brauchen. Major Labels und große Musikverlage schlagen zu. Der Musikmarkt wird nach der Krise ein anderer sein als vorher.
Inmitten dieser Krise setzt die Bundesregierung, vorneweg die SPD Justizministerin Christine Lamprecht, die durch die EU vorgegebene Urheberrechtsreform in die Tat um. Die Reform ist zum Teil am 07.06.2021 in Kraft getreten. Ein weiterer Teil tritt am 01.08.2021 in Kraft.
„Wir machen das Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter.“, erklärt Frau Lamprecht in ihrem offiziellen Statement zur Reform.
Grundsätzlich ist die Idee der Reform, aus Sicht der Künstler und der Verwerter, zu begrüßen. Kurz gesagt sollen Plattformen wie YouTube für die Inhalte, welche Nutzerinnen und Nutzer bei ihnen hochladen, direkt urheberrechtlich verantwortlich gemacht werden können. Dazu sollen die Plattformen Lizenzen erwerben oder eben dafür sorgen, dass geschützte Inhalte nicht auf der Plattform verfügbar sind. Aber warum sind dann so viele Künstler gegen die Reform, in der vorliegenden Form?
Zunächst einmal die Fakten zur Reform, die für die Musikbranche eine Rolle spielen:
Ein neues Gesetz, das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (kurz UrhDaG), soll die Verantwortung der Upload Plattformen (YouTube und Co.) regeln. Dieses soll am 01.08.2021 in Kraft treten. Ein ‚Roter Knopf‘ soll eingeführt werden. Mit diesem können dann vertrauenswürdige Rechteinhaber Inhalte blockieren, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Rechte verletzt werden.
Uploadfilter sollen vermieden werden. Unsere regierende Koalition aus CDU und SPD reagiert damit natürlich unter anderem auf die Proteste, die 2019 gegen diese Uploadfilter stattfanden. Man kann allerdings skeptisch sein, ob das so gelingt. Auch die Opposition im Bundestag ist der Ansicht, dass automatische Uploadfilter kommen werden. Die Reform sieht die Möglichkeit vor, dass Rechteinhaber der Plattform im Vorhinein anzeigen können, wenn ihre Werke nicht von Dritten hochgeladen werden sollen. Eine Umsetzung ohne automatisiertes Verfahren, sprich Filter, ist hier schlicht nicht vorstellbar.
Es wird eine Bagatellgrenze von 15 Sekunden geben. Diese bedeutet, dass die Nutzung von bis zu 15 Sekunden einer Tonspur als ‚mutmaßlich erlaubte Nutzung‘ eingestuft wird. Die Verwendung ist dann ohne weiteres zulässig, soweit diese nicht kommerziell bzw. zur Erzielung nicht erheblicher Einnahmen dient.
Schließlich gibt es nun auch den lange erwarteten ‚Sampling-Paragraphen‘ (§ 51a UrhG). Quasi als Erweiterung des Zitatrechts darf man nun Teile bereits veröffentlichter Werke in neuem Kontext wiedergeben. Hintergrund ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bzw. des Europäischen Gerichtshofes im Fall „Metall auf Metall“. In diesem Fall hatte die Gruppe Kraftwerk den Musikproduzenten Moses P. verklagt, weil dieser einen 2 Sekunden Ausschnitt von Kraftwerk für ein neues Stück Musik genutzt hatte. Kraftwerk verlor letztendlich, da Verfassungsgericht und EuGH die Kunstfreiheit des Musikproduzenten in den Vordergrund stellten.
Hinzu kommt für die Künstler die als unnötiger Zwang empfundene Stärkung der Verwertungsgesellschaften. Der Erwerb der Lizenzen durch die Plattformen wird nämlich ausschließlich über Verwertungsgesellschaften abgewickelt. Die Künstler können keine eigenen Vereinbarungen mit den Plattformen abschließen.
Mancher wird nun sagen: „Einen guten Kompromiss erkennt man daran, dass niemand zufrieden ist.“ Jedenfalls die Bundesregierung folgt wohl dieser Auffassung.
Vor allem zwei Bereiche dieser Reform lösen besonders heftige Diskussionen aus:
Die scheinbare Unvermeidbarkeit von Uploadfiltern und die Bagatellgrenze von 15 Sekunden. Hier wurden Lösungen gefunden, mit denen man es scheinbar weder den Künstlern noch den Nutzern recht macht.
Das umstrittene System um die Uploadfilter wird in etwa so funktionieren: Lädt ein Nutzer ein Video bei YouTube hoch, wird der Inhalt gesperrt, wenn der Algorithmus ihn als Verletzung erkennt. Der Nutzer kann dann widersprechen und die Plattform entscheidet binnen einer Woche über den Fall. Erkennt der Algorithmus beim Upload eine ‚mutmaßlich erlaubte Nutzung‘, so geht der Inhalt Online und der Rechteinhaber hat die Möglichkeit Beschwerde einzulegen.
Aus Sicht der großen Musikverwerter treten hier tatsächlich gar keine erheblichen Änderungen auf den Plan. Der ganz große Teil der Rechteinhaber (Major Labels, große Musikverlage etc.) hat bereits Verträge mit YouTube und lässt den YouTube-Algorithmus Content-ID für sich arbeiten. Die Rechteinhaber können, wenn Content-ID einen relevanten Upload entdeckt, entscheiden, ob sie den Inhalt entfernen möchten oder diesen lizenzieren.
Über das Lizenzieren kann der Rechteinhaber dann Einnahmen durch Monetarisierung und Tantiemen generieren.
Für die Musikindustrie an sich funktioniert dieses System einigermaßen zufriedenstellend. In Einzelfällen kommt es natürlich, wie jeder in der Branche weiß, regelmäßig zu Problemen.
Für andere Bereiche der Kreativwirtschaft (wie z.B. Film) ergeben sich an diesem Punkt sicherlich größere Neuerungen.
Die Festlegung auf Ausschnitte von 15 Sekunden als ‚mutmaßlich erlaubte Nutzung‘ bricht allerdings für viele Künstler und Musikverwerter ein Tabu. Von Enteignung und Entmündigung der Künstler ist die Rede.
Der Jurist nennt das schlicht eine Vermutungsregel. Man vermutet, bei 15 Sekunden oder weniger, dass die Nutzung so in Ordnung ist. Sollten die Rechteinhaber nun aber der Ansicht sein, dass ihre Rechte entgegen der Vermutung verletzt sind, können sie Beschwerde gegen die ‚mutmaßlich erlaubte Nutzung‘ einlegen.
Diese Vermutungsregel hält unser Gesetzgeber für nötig, damit möglichst keine automatisierte Sperre einsetzt.
Der Kritikpunkt vieler Künstler und Künstlerinitiativen:
Die Bundesregierung hat bei der Umsetzung der Reform im Rahmen von Expertenanhörungen vor allem mit Netzexperten und Netzaktivisten gesprochen. Für diese Netzlobby gehören Uploadfilter
traditionell zum größten vorstellbaren Unheil.
So ist bei der Regierung möglicherweise der Eindruck entstanden, dass die Vermeidung von Uploadfiltern höchste Priorität haben sollte, um ein funktionierendes World Wide Web nicht durch Zensur zu zerstören.
Die Wahrheit ist freilich, dass automatisiertes Blocking längst zum Internet-Alltag gehört. Um Urheberrechte wirksam verteidigen zu können, sind intelligente Filter auch in Zukunft definitiv unvermeidbar.
Die Regierung meint allerdings, sie könne nun (anders als viele EU-Nachbarn) durch ein entsprechend gestaltetes Gesetz und die Einführung der 15 Sekunden-Regel, Upload-Filter weitestgehend vermeiden. Und das verkauft sich natürlich gut: Das böse Monster der Zensur wird durch die heldenhafte deutsche Bundesregierung in die Flucht geschlagen. Die zarte Prinzessin freies Internet ist damit gerettet.
Es gäbe auch einen anderen Ansatz:
Anstatt so zu tun als hätte man die einzig echte Weisheit gepachtet, könnte man die zunächst unangenehme Realität akzeptieren. Die tatsächliche Heldentat wäre es dann ein Gesetz zu schaffen,
welches den Boden für die Entwicklung von feinsinnigen und vor allem gut regulierten Filtersystemen bereitet. Moderne Filter, deren KI schnell dazu lernt, wenn zum Beispiel ihre Fehler vom
Menschen korrigiert werden.
Die Zensurdebatte wird an dieser Stelle leider auch häufig aneinander vorbei in‘s Leere geführt. Die liberale Netzlobby möchte zu Recht im Hinblick auf die Meinungsfreiheit vermeiden, dass z.B. legitime Textzitate oder Ähnliches herausgefiltert werden. Musiker und Musikverwerter wollen nicht, dass geschützte Werke einfach so verwendet werden können. Diese Interessen müssen sich nicht zwingend feindlich gegenüberstehen.
Die Antwort, die ein intelligentes Gesetz hier geben kann, ist wohl weder mehr noch weniger Uploadfilter. Die Antwort sollte vielleicht die Schaffung von Rahmenbedingungen für die richtigen Filter sein. Dort wo sie unbedingt notwendig sind. Mehr aber auch nicht.
Indes haben tausende Berufsmusiker in Deutschland ein weiteres Mal das Gefühl, dass die Regierung vor ihren Sorgen die Ohren verschließt. Und was kann es Schlimmeres für einen Musiker geben als nicht gehört zu werden?
.
Alles zur Musikbranche für Selbstständige:
.